Liebe Mitstreiter,

dieser Bericht ist eine leichte Abwandlung des üblichen „Sichtungen anderer Heels-Träger“-Genres. Ich hoffe, dass er trotzdem Ihre Zeit wert ist. Ja, ein Mann mit hohen Absätzen wurde tatsächlich in der Öffentlichkeit gesichtet, aber diesmal stellt es sich heraus, dass ich derjenige war, der von einem anderen Liebhaber von High Heels gesichtet wurde. Die Geschichte ist wie folgt …

Am vergangenen Wochenende stand ich (männlich, Anfang dreißig) in meinen sehr hohen schwarzen Jeffrey Campbell Plateau-Stiefeln auf einem der Bahnsteige des Darmstädter Hauptbahnhofs und wartete auf den Zug.

Aufgrund des warmen hessischen Maiwetters trug ich nur enge blaue Denim-Jeans (vgl. Foto) und ein schwarzes T-Shirt. Ein dezenter Look, der die Stiefeletten lässig hervorstechen lässt. Außerdem bin ich kein besonders modischer Mensch und halte daher den Stil lieber schlicht, wenn ich Absätze trage.

image.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)

Wie viele der Stammgäste in diesem Forum habe ich (spät) erkannt, dass es im Grunde niemanden interessiert, was man trägt. Das Smartphone, zum Beispiel, beherrscht unbestritten den öffentlichen Raum, aber anstatt eine „Waffe“ zu sein, mit der Männer in „ausgefallenen Aufmachungen“ gejagt und fotografiert werden – eine Befürchtung, die gelegentlich in diesem Forum geäußert wird – absorbiert es stattdessen fast die gesamte Aufmerksamkeit von sowohl Jung als auch Alt, so dass ein sonst auffälliger Mann mit hohen Absätzen praktisch unsichtbar wird.

Folglich gab es an diesem Vormittag im vollen Bahnhof keine Reaktionen auf mich oder mein Aussehen. Ich hatte zudem einen langen und erschöpfenden Reisetag vor mir und schenkte deswegen meinem außergewöhnlichen Schuhwerk auch selbst keine besondere Beachtung.

Lässig zu sein ist übrigens der Schlüssel zum erfolgreichen Tragen von Hohen Absätzen. Leider fällt man meiner Erfahrung nach am meisten auf, wenn man nach Einbruch der Dunkelheit abgesondert unterwegs ist, sich innerlich über seinen Fauxpas aufregt (oder sogar schämt) und viel zu viel Fokus auf seine eigenen Schuhe hat. Zum Glück gilt auch das Gegenteil: Wenn man(n) High Heels am helllichten Tag und unter vielen Menschen trägt, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, bemerkt das absolut keiner.

Der Zug nach Frankfurt am Main kam an, und auf dem Bahnsteig herrschte schnell das übliche Gewimmel von aus- und einsteigenden Fahrgästen. Ich machte mich auf den Weg zum nächstgelegenen Eingang und achtete dabei auf jeden Schritt, um in dem Chaos nicht mit anderen Personen zusammenzustoßen oder ihnen auf die Füße zu treten – wie man tun muss, wenn man mit hohen Absätzen in Menschenmengen läuft!

Die Ausströmung von Fahrgästen aus dem Zug lies endlich nach, und die gleiche und entgegengesetzte Kraft der einsteigenden Fahrgäste begann ebenso schnell.

Und dann geschah es. Ein bärtiger, schwarzhaariger Mann – Mitte bis Ende zwanzig und mit ein paar Rollerblades in der Hand – packte mich sanft an der Schulter und zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Er sagte: „Hey, geile Schuhe!“ und holte gleichzeitig eifrig seinen Turnbeutel hervor. Innerhalb weniger Sekunden schaffte er es, ihn zu öffnen, und er winkelte die Öffnung so an, dass der Inhalt nur für mich zu sehen war: ein sehr elegantes und beeindruckend hohes Paar schwarzer, hochhackiger Blockabsätze in Männergröße!

Wie Sie sich vorstellen können, war ich verblüfft. Einer von uns!

Leider – und ich habe tatsächlich einen guten Teil des Rests des Tages damit verbracht, es zu bereuen – hatte ich nur den begrenzten Scharfsinn, etwas in der Art von „Boa, sehr cool, ich bin neidisch auf Deine Schuhe, aber ich muss gehen!“ zu sagen. Der Zug fuhr gleich ab, und ich hatte wortwörtlich keine Zeit, mich mit diesem netten Absatzschuhliebhaber aus Darmstadt zu unterhalten.

Ich winkte zum Abschied und fand im Zug meinen Sitzplatz, wobei ich wie ein Verrückter grinste. „Das muss diese Dunkelziffer sein, von der so oft die Rede ist,“ dachte ich.

Ich wusste auch sofort, was ich in den wenigen entscheidenden Momenten, die mir zur Verfügung standen, lieber hätte sagen sollen:

„Ein Vergnügen! Ich hoffe, Du trägst sie oft? Wie Du siehst, interessiert’s keinen. Mach’s gut!“

Na ja, es ist zumindest meine Hoffnung, durch meinen eigenen Auftritt in High Heels trotzdem diesen Herrn motiviert (oder sogar inspiriert?) zu haben, seine echt geilen Absatzschuhe auch in der Öffentlichkeit tragen zu wagen. Es wäre schade, wenn er sie so im Turnbeutel lassen würde.

Ende der Geschichte. Ich freue mich auf Ihre Kommentare. :)

... Du bist in der Tat nicht alleine und ich gratuliere Dir zu der schönen Begegnung ... es war keine verpasste Gelegenheit ... vielmehr eine Begebnung der besonderen Art ... und ja, es gibt (hoffentlich) viel mehr von uns, als wir glauben ... weiter so ...

Hallo, diesen schönen Beitrag habe ich mehrfach gelesen. Einfach eine sehr schöne Geschichte. Schade, dass ihr nicht die selbe Strecke hattet. Das macht Lust auf eine längere Zugfahrt (z.B.) nach Berlin im RE. Der hält ja fast überall. Ob Stiefelette oder Stiefel (die Hose natürlich im Stiefelschaft) ich denke drüber nach. Nochmals Danke für den Beitrag. Beste Grüße von der Ostseeküste

Zitat von Balazs im Beitrag #3

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Hallo, diesen schönen Beitrag habe ich mehrfach gelesen. Einfach eine sehr schöne Geschichte. Schade, dass ihr nicht die selbe Strecke hattet. Das macht Lust auf eine längere Zugfahrt (z.B.) nach Berlin im RE. Der hält ja fast überall. Ob Stiefelette oder Stiefel (die Hose natürlich im Stiefelschaft) ich denke drüber nach. Nochmals Danke für den Beitrag. Beste Grüße von der Ostseeküste

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Schicke Schuhe, die du an hattest